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Widerstrebende Interessen und Bedürfnisse:
Wie treffe ich die richtigen Entscheidungen?


„In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige“, sagte einmal der Satiriker Karl Kraus. So einfach ist das also. Oder doch nicht? Wir ahnen: Es gibt keine Patentrezepte zu diesem Thema. Aber vielleicht haben Sie Interesse daran, einige Aspekte zu dieser Frage mit mir zu verfolgen. Es ist Ihre Entscheidung…

Wie immer bei tiefgründigen Fragen kann man bei Adam und Eva beginnen. Auch sie mussten sich schon entscheiden. Gott hat ihnen ein Paradies zur Verfügung gestellt und ihnen gleichzeitig Grenzen gesetzt. Und so ist der Mensch: immer in der Versuchung, Grenzen zu überschreiten. Und koste es das Paradies…

Die Bibel ist von der ersten Seite an ein Buch der Entscheidungen. „Bin ich meines Bruders Hüter?“ Diese Frage wird vielen Menschen gestellt, und sie haben sie unterschiedlich beantwortet. – „Wie gehe ich mit meinem Sexualtrieb um?“ David hat sich dafür zum Mörder gemacht. – Oder Maria und Martha: Von Letzterer lernen wir, dass man das Richtige auch zur falschen Zeit tun kann. – „Alle haben sich von mir abgewandt, wollt ihr auch weggehen?“ fragt Jesus seine Jünger. Sie entscheiden sich zu bleiben: „Du hast Worte ewigen Lebens“, sagt Petrus. Doch auch er wird sich wenig später anders entscheiden: „Ich kenne diesen Menschen nicht.“ Seine Fehlentscheidung bereut er sogleich bitterlich.

Wir können und müssen entscheiden

Unsere Entscheidungsmöglichkeiten und -fähigkeiten haben Grenzen. Und trotzdem: Wir können nicht nur, wir müssen entscheiden. Man kann sich nicht nicht entscheiden (frei nach dem Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick), auch ein Hinauszögern oder ein scheinbares Nichtentscheiden ist eine Entscheidung mit entsprechenden Konsequenzen.

Bewusst entscheiden heißt, verantwortlich entscheiden. Der bekannte Psychiater Viktor Frankl macht an der Entscheidungsfähigkeit des Menschen sogar seine menschliche Würde fest. Er sagt: Man kann dem Menschen alles nehmen – Beruf, materielle Güter, Gesundheit –  es bleibt ihm immer die Entscheidung, sich zu seinem Schicksal so oder so zu stellen. Frankl sagt: Nicht wir können Gott befragen („Warum geschieht mir dies? Warum ich?“), es ist umgekehrt. Gott befragt uns: „Wie gehst Du mit deinen Lebensumständen um?“ Einen ähnlichen Gedanken finden wir in dem Gedicht „Über Nacht“ von Julius Sturm:

Über Nacht, über Nacht
Kommt Freud und Leid,
Und eh du´s gedacht,
Verlassen dich beid´
Und gehen, dem Herren zu sagen,
Wie du sie getragen.

Interessen und Bedürfnisse abwägen

Unsere Entscheidungen sind weitgehend abhängig von unseren Interessen und Bedürfnissen. Diese wiederum rufen Gefühle hervor: „Gefühle sind die Kinder unserer Bedürfnisse“ (Marshall
Rosenberg). Wenn uns die Arbeit über den Kopf wächst, wünschen wir uns Freiräume zur Erholung und Regeneration (Bedürfnis). Wenn wir uns für notwendige Erholungsphasen entscheiden können, sind wir zufrieden (Gefühl). Wenn wir ungebremst immer weiter gefordert werden,  machen sich Gefühle wie Frustration, Ärger, später auch Resignation und Enttäuschung breit. Die Bedürfnisse und ihre nachfolgenden Gefühle fordern Entscheidungen heraus (neuer Job? Raus aus dem Karrierekarussel? Weiter wie bisher?)

In einer Entscheidungssituation ist es deshalb sinnvoll, auf unsere Gefühle zu achten: Warum bin ich gerade aggressiv oder enttäuscht oder traurig oder frohgestimmt? Welche Bedürfnisse haben diese Gefühle ausgelöst? Möchte ich diese Bedürfnisse befriedigen oder sprechen höhere Werte (letztlich auch wieder Bedürfnisse…) dagegen?

Es ist für die Entscheidungsfindung von hoher Wichtigkeit, unsere eigenen Bedürfnisse und Interessen gut durchschaut zu haben. Das ist deshalb nicht leicht, weil wir oft widerstrebende Interessen in uns spüren. Sollen wir umziehen? Dafür spricht: kürzerer Weg zur Arbeit (mehr Zeit für die Familie), weniger Fahrtkosten (mehr Geld für Anschaffungen oder Spenden). Da-gegen spricht: Aufgabe einer guten Nachbarschaft und bewährter Kindergarten für die Kleine. Unsere inneren Stimmen melden sich lautstark (oder auch leise) zu Wort. Welche Bedürfnisse und Interessen werden sich durchsetzen?

Ich habe eine Methode entwickelt, meine Gefühle und Bedürfnisse in meine Entscheidungen einzubeziehen, die Sie jedoch nicht kopieren müssen. Wenn ich alles Für und Wider abgewägt habe und immer noch unschlüssig bin, dann werfe ich eine Münze. Dabei achte ich auf meine Gefühlsreaktion. Bin ich über das Münzergebnis eher zufrieden? Dann akzeptiere ich die Ent-scheidung. Bin ich im Grunde meines Herzens vom Ergebnis enttäuscht? Dann wähle ich die andere Alternative. So komme ich meinen Bedürfnissen am nächsten und kann das Ergebnis am besten bejahen.

Dem Rat erfahrener, glaubwürdiger Menschen etwas zutrauen

Blindes Vertrauen und Obrigkeitshörigkeit sind gefährlich – dem Rat erfahrener, glaubwürdiger Menschen etwas zuzutrauen, ist hilfreich. Es gehört zum Erwachsenwerden, den Rat der eigenen Eltern auszuschlagen. Schließlich muss und möchte man ja selbständig werden. Wer dann nach der Pubertät wieder die Erfahrungen der Älteren in seine Entscheidungen einbezieht, ist erwachsen geworden. Ähnlich hilfreich können die Erfahrungen reifer Glaubensgeschwister sein. Sie entbinden uns nicht (im Sinne einer verantwortlichen Entscheidung) von der eigenen Prüfung, aber sie können sehr hilfreich sein. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Klugheit, die Erfahrungen und Meinungen anderer bei der eigenen Entscheidungsfindung mit zu berücksichtigen.

Mit falschen Entscheidungen rechnen und damit umgehen lernen

Die Chinesen sagen, jedes Ding hat drei Seiten: Eine, die du siehst, eine, die ich sehe und eine, die wir beide nicht sehen. Es ist im Leben unausweichlich, dass wir in unserer Begrenztheit falsche Entscheidungen treffen. Und damit nicht genug: falsche Entscheidungen haben Folgen und führen deshalb immer wieder in Schuld. Hier hilft uns unser bestes Bemühen nicht weiter. Hier hilft uns nur Gottes Beistand und Vergebung.

Als Adam und Eva (sie sind ja Prototypen unseres Menschseins) falsche Entscheidungen trafen, hat Gott die Folgen gemildert, indem er ihnen Kleidung machte für eine unwirtliche Welt außerhalb des Paradieses. Er hat seine Schöpfung immer wieder am Leben erhalten, indem er sie trug und allzu oft auch ertrug. So bekam Kain ein Schutzzeichen auf seine Stirn. David erfuhr Vergebung für egoistische Wege und hat uns dafür mit unvergleichlichen Liedern be-reichert: „Und ob ich auch wanderte im finsteren Tal…“ (Ps. 23) Petrus durfte seine Fehlent-scheidung, seine Verleugnung des Herrn, revidieren, und das Gleiche gilt für Paulus, für alle Christen seither, für dich und mich.

Mit Angst vor Entscheidungen rechnen und damit umgehen lernen

Manchmal sind wir wie gelähmt, wenn wir Entscheidungen treffen sollen. Vielleicht geht es uns wie Jona: Wir wissen schon, was wir eigentlich tun sollen, aber wir haben Angst vor den Konsequenzen. Oder  wir verhalten uns wie der Knecht in Jesu Gleichnis von den anvertrau-ten Pfunden: Wir vergraben unsere Talente, weil wir das Risiko des Lebens fürchten. Auch hier hilft uns unser eigenes Bemühen nicht weiter. Hier hilft uns nur unser Glaube und Gottvertrauen. Wenn es stimmt, „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Rö 8,28), dann dürfen wir mutig und gelassen Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind.

Unsere Grundhaltung beeinflusst unsere Entscheidungen – und umgekehrt

Wir sind und werden, was wir entscheiden. Jede Entscheidung, sei sie gelungen oder nicht, verändert uns. Viele Entscheidungen sparen wir uns im Laufe des Lebens – sie sind im Grundsatz längst gefallen. Der barmherzige Samariter musste vielleicht nicht lange überlegen, für ihn war es vielleicht selbstverständlich, einem Menschen in Not beizustehen. Unsere Grundhaltung beeinflusst unsere Entscheidungen – und umgekehrt. Je mehr sich unser Glaube in eine Haltung verwandelt, desto wahrscheinlicher sind „stimmige“ Entscheidungen.

Wir wünschen uns gelegentlich, in einer schwierigen Entscheidungssituation Gottes Stimme vom Himmel zu hören. Doch so redet Gott in der Regel nicht mit uns. Er will mit seinem Geist in uns wohnen, uns täglich begleiten, in unsere Entscheidungen verwoben sein. So verändern sich unsere Entscheidungen, wenn wir uns ihm aussetzen. Dies geschieht im Gebet. Und zwar nicht nur in den Gebeten, die wir in Worte fassen, sondern in der Gebetshaltung, die darin besteht, Gottes Gegenwart immer mehr zu spüren, zu bejahen, anzunehmen. Unmerklich verwandeln wir uns durch seine Gegenwart in sein Bild.

Von einer dramatischen Entscheidungssituation berichten uns die Evangelisten unmittelbar vor der Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane. Tief niedergeschlagen („Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“ Mk. 14,34) lässt sich Jesus in die Arme seines Vaters fallen. Er könnte der Verhaftung ausweichen. Aber tief im Inneren und in der Verbundenheit mit Gott („Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“) ist seine Entscheidung längst gefallen. Gestärkt durch den Engel Gottes (Lk. 22,43) und eins mit seinem Vater entscheidet er sich für den Leidensweg, der uns allen heute noch zugute kommt.

Entscheidungen? Ich danke Gott, dass wir keine Marionetten sind, sondern zu einem Leben in Verantwortung und großer Freiheit geschaffen wurden. Ich habe gelernt, bei allen Entschei-dungen sowohl auf meine legitimen Bedürfnisse als auch auf die der anderen zu achten. Ich  wünsche mir vor allem in Entscheidungen, die nicht leicht sind, aber gefällt werden müssen, Gottes gegenwärtigen Geist und die stärkende Kraft seines Engels. Bei allen Fehlentschei-dungen erbitte ich die Vergebung des Schöpfers, der (einem portugiesischen Sprichwort zu-folge) auch auf krummen Linien gerade schreiben kann.

 

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