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Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas (Lk. 2,1-21)


Vorbemerkung

Das älteste Evangelium, Markus, beginnt mit der Taufe Jesu. Alle anderen Evangelien ergänzen Markus um einen jeweils eigenen Prolog. Diese Einleitungen machen keine realen biographischen Angaben über Herkunft, Geburt und Kindheit Jesu. Sie wollen vielmehr Jesus allegorisch als Messias proklamieren. Matthäus erzählt Bildgeschichten, die zu alttestamentlichen Schriftworten hinführen („damit die Schrift erfüllet ward…“). Johannes identifiziert Jesus mit dem Logos. („Das Wort“ ist dafür eine sehr reduzierte Übersetzung. Besser wäre „der Weltsinn“, die allem Seienden zugrundeliegende Schöpferintelligenz – vgl. den Begriff „Weisheit“ unter „Biblischen Begriffen“.)

Lukas wählt als Vorlage für seinen Prolog einen Text, der Johannes den Täufer ursprünglich als Messias ausweist. Dazwischen schiebt er Abschnitte, die zeigen sollen, dass Johannes nicht der Messias war, sondern „nur“ sein Wegbereiter. Das Verhältnis zwischen den Jüngern des Johannes und den Jüngern Jesu muss nicht immer frei von Konflikten gewesen sein. Auch die anderen Evangelisten beschäftigen sich mit dem Verhältnis zwischen den beiden: Wie konnte Jesus der „Größere“ von beiden sein, wo er doch nachweislich von Johannes getauft worden war? (Über das Verhältnis zwischen Johannes dem Täufer und Jesus vgl. den  Beitrag “Der historische Jesus” unter “Themen”)

Der wundersame Geburt des Johannes (Ankündigung durch den Engel Gabriel, Zeugung durch Zacharias und Elisabeth, obwohl beide schon zu alt sind, Erfüllung mit dem Heiligen Geist von Mutterleib an….) folgt die Schilderung der Geburt Jesu. Sie gehört zwar in den gerade beschriebenen Zusammenhang mit Johannes, soll aber hier einmal für sich betrachtet werden. Vermutlich ist diese Allegorie ohnehin älter als der Zusammenhang, in dem sie steht.

Lk 2,1-5
1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.

Volkszählung unter Quirinius: Schon 1835 weist David Friedrich Strauß auf die Schwierigkeiten hin, diese Information wörtlich zu nehmen:

– Von einer allgemeinen Volkszählung („Dass alle Welt geschätzt wurde“) im römischen Reich ist nichts bekannt. (Allerdings hat es 10 Jahre später eine Volkszählung unter Quirinius gegeben, die Juda, aber nicht Galiläa einschloss.)
– Zu Lebzeiten des Herodes war Quirinius nicht Statthalter in Syrien.
– Dass sich die Familien in ihre Herkunftsorte begeben mussten, war bei römischen Volkszählungen nicht üblich.

Jede historische Einordnung ist jedoch müßig, da es Lukas nicht um Geschichtsschreibung geht, sondern um Verkündigung. Die Volkszählung ist der „literarische Kunstgriff“, Maria und Josef nach Bethlehem reisen zu lassen. Aus Bethlehem kam einst König David. Und deshalb war mit diesem Namen die Heilserwartung Israels verknüpft: „Und du, Bethlehem … aus dir soll mir der kommen der in Israel Herr sei“ (Micha 5,1). Man erwartete ja, dass der Messias (als endgültiger „König der Juden“) aus dem Haus David kommen werde.

Warum ist die nun folgende Erzählung eine Allegorie? Weil sie wieder – wie fast jede Allegorie – auf der Erzählebene mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet, während sie auf der übertragenen Ebene in sich vollständig stimmig erscheint.
Neben dem schon berichteten Problem der Volkszählung (s.o.) tauchen u.a. folgende Schwierigkeiten auf:
– Jesus wurde in Nazareth geboren. Das ist der übereinstimmende Befund des Neuen Testaments außerhalb der Prologe von Lukas und Matthäus. Weder Lukas noch Matthäus erwähnen Bethlehem an weiteren Stellen. (Dasselbe gilt übrigens von seiner davidischen Abstammung.) Markus und Johannes wissen davon überhaupt nichts. Johannes nimmt ganz selbstverständlich Nazareth als Herkunftsort Jesu: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ (Jh. 1,46) – „Soll der Christus aus Galiläa kommen? Sagt nicht die Schrift: aus dem Geschlecht Davids und aus dem Ort Bethlehem … soll der Christus kommen?“ (Jh. 7,41-42). Und es begab sich, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan“ (Mk. 1,9). Wenn Jesus in Bethlehem geboren worden wäre, hätten Johannes (und vorher schon Markus) diese wichtige Information nicht unterschlagen.
– Warum verkünden die Engel die Heilsbotschaft nur Hirten? (Einmal abgesehen davon, dass die Engelpredigt auf realer Ebene kaum vorstellbar ist.) Die Hirten haben auch keinerlei Verständnisfragen. Ihnen genügt der Satz: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ (V. 11).
– Die Hirten breiten das Wort des Engels aus (V. 17). Mit welcher Absicht? Es ist nicht bekannt, dass weitere Menschen kamen, um das Kind anzubeten. Und selbst wenn: Hätten Sie gewusst, wen sie hier anbeten? Hätte sie das zu Christen gemacht? Und haben die Einwohner Bethlehems, die jetzt von den Hirten wissen, dass sie den Messias beherbergen, etwas für ihn getan? Nie wieder wird davon berichtet. (Die Verehrung Jesu in Bethlehem beginnt mit dem Bau der Grabeskirche erst 325 n.Chr.
– Dasselbe gilt für die Hirten (und später für Simeon, V. 25-35, sowie für Hanna, V. 37-38). Was haben sie von der Botschaft des Engels? Sie „priesen Gott“ (V. 20), aber was hatten sie von der christlichen Heilsbotschaft verstanden? Ferner wird an keiner Stelle berichtet, dass die Engelserscheinung für die Hirten oder für die, denen sie die Botschaft weitersagten, irgendeine Konsequenz gehabt hätte.

Lk. 6-21
6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
21 Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden mußte, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.


Nun zur allegorischen Auslegung. Kennzeichen einer Allegorie ist, dass das Gesagte nicht das Gemeinte ist (vgl. den Beitrag „Bildersprache“). Das Gesagte weist vielmehr in kodierter Form auf das Gemeinte hin. Wenn jemand sagt: „Du bist mein Schmusebär“ oder „Da wandelst Du auf einem schmalen Grat“, dann ist das Gesagte (der Bär und der Grat) nicht das Gemeinte:

Das Gesagte (> steht für) Das Gemeinte
Du bist mein Schmusebär (> steht für) Mit dir kann man gut knuddeln.
Da wandelst du auf einem schmalen Grat (> steht für) Sei vorsichtig, du befindest dich in Gefahr.
(Es geht also weder um reale Bären noch um reale Grate …)

Auf die Weihnachtsgeschichte angewandt:

In Bethlehem geboren (> steht für) Der wahre Messias

Aus dem Geschlecht Davids (> steht für) Der wahre König Israels

Hirten (> steht für) Die geistlichen Führer des Volkes
vgl. 4. Mo. 27,17; Jes. 63,11

Hirten des Nachts (> steht für) Orientierungslose Führer des Volkes. Vgl.: „Die Priester fragten nicht, wo ist Jahwe? …und die Hirten des Volkes wurden mir untreu“ (Jer. 2,8).
Klarheit des Herrn mit den Hirten (> steht für) Die geistlichen Führer hören das Wort Gottes und gehorchen ihm. Vgl.: „Und ich will euch Hirten geben nach meinem Herzen, die euch weiden sollen in Einsicht und Weisheit.“ (Jes. 3,15).
fürchtet euch nicht (Vgl. „… und ich will Hirten über sie setzen, die sie weiden sollen, dass sie sich nicht mehr fürchten noch erschrecken, Jes. 23,4.

Krippe (> steht für) „Futterbehälter“ = wo ihr eure geistliche Nahrung findet
Kind in der Krippe (> steht für) Christus ist eure geistliche Nahrung, vgl. „Ich bin das Brot des Lebens“ (Jh. 6,35). „Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe“ (Jh. 6,50).

Anmerkung: die späte Überlieferung hat das Bild verstanden und der Krippe noch Ochs und Esel beigefügt:
Ochs und Esel an der Krippe (> steht für) Menschen, die wissen, wem sie ihre geistliche Nahrung verdanken – vgl. „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.“ (Jes. 1,3) - vgl. dazu:


Detail aus der Bilderdecke der Kirche von Zillis aus dem 12. Jahrhundert.


kein Raum in der Herberge, V. 7 (> steht für) wurde vom Volk Israel nicht angenommen (Jh 1,11:
“Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.”)

Das Kind in Windeln gewickelt (> steht für) Hinweis auf Jesu Tod und Auferstehung, vgl. „Da kam
Simon Petrus ihm nach und ging in das Grab und sieht die Leinentücher liegen …“ (Jh. 20,6) - vgl. dazu das Bild oben

Nun macht die Geschichte plötzlich Sinn: Sie erzählt vom Anfang (= Geburt) des Christentums. Jesus von Nazareth ist der erwartete Christus/Messias (= Bethlehem) und König des Volkes (= aus dem Geschlecht Davids). Er ist der „erste Sohn“ (V. 7) (= der „Erstgeborene“ oder „Eingeborene“, vgl. 2. Mo 22: „So spricht Jahwe: Israel ist mein erstgeborener Sohn.“

Dazu folgende Anmerkung: Zu Jesu Zeiten verstand man unter dem Begriff „Sohn Gottes“ immer das ganze Volk Israel. Wenn es darum in Mt. 2,15 von Jesus heißt „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“, wird damit gesagt: Jesus (und alle, die von ihm abstammen = seine Nachfolger) sind das wahre Israel (vgl. Rö. 11,17). Es sind Menschen, die „aus Wasser und Geist“ geboren werden“ (Jh. 3,5). Jesus wird hier als „Erstling“ der Wiedergeborenen verstanden, das ist die Aussage hinter dem Bild der Jungfrauengeburt. Es geht auch hier nicht um die physische Zeugung (das Gesagte), sondern um die geistliche Zeugung (das Gemeinte): „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinem Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.“ (Jh. 1,12-13)

In diesem Sinne ist Jesus „von Gott gezeugt“ (das Gesagte: „Jungfrau Maria“ – das Gemeinte: „nicht aus dem Willen des Mannes, sondern von Gott gezeugt“). Dieser erste Sohn ist gleichzeitig der erste Mensch einer neuen Schöpfung (= „der zweite Adam“, vgl. 1. Kor. 15,45), der wahre und legitime „Sohn Gottes“. Er ist unser Leben, wenn wir ihn aufnehmen (wie Tiere das Futter in der Krippe aufnehmen). Diese frohe Botschaft wurde den geistlichen Führern des Volkes verkündigt (z.B. Nikodemus, vgl. Jh. 3,1, oder Paulus, vgl. Apg. 9: „Da umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel …“). Diejenigen, die zum Glauben kamen (sie kamen, fanden und sahen – vgl. Lk. 2,16-17), breiteten das Wort aus, sie wurden zu den neuen, „erleuchteten“ geistlichen Führern des Volkes. Jesus aber (der Name bedeutet „Gott ist Rettung“) hatte seinen Namen „ehe er im Mutterleib empfangen wart“ (V. 21). Gemeint ist: Der, den ihr „Gott ist Rettung“ nennt, war schon immer bei Gott = Gott ist schon immer und von Anfang an euer Retter und euer Heil.

 

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