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Die Doppeldrachme  Mt 17, 24-27

Als sie nun nach Kapernaum kamen, traten zu Petrus, die den Tempelgroschen einnehmen, und sprachen: Zahlt euer Meister nicht den Tempelgroschen? Er sprach: Ja. Und als er in das Haus kam, kam ihm Jesus zuvor und sprach: Was meinst du, Simon? Von wem nehmen die Könige auf Erden Zoll oder Steuern: von ihren Kindern oder von den Fremden?  Da sprach zu ihm Petrus: Von den Fremden. Jesus sprach zu ihm: So sind die Kinder frei.  Damit wir ihnen aber keinen Anstoß geben, geh hin an das Meer und wirf die Angel aus, und den ersten Fisch, der heraufkommt, den nimm; und wenn du sein Maul aufmachst, wirst du ein Zweigroschenstück finden; das nimm und gib‘s ihnen für mich und dich.

Die Erzählung von der “Tempelsteuer“, obgleich kurz, wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Zunächst einmal: Wir finden die Episode nur bei Matthäus. Markus kannte sie nicht, Lukas hat sie nicht übernommen. Die märchenhafte Schlusspointe ist unübersehbar. Das Motiv des Schatzes im Fischleib ist in der Antike weit verbreitet. Aber was soll sie hier aussagen – dass wir als Christen Steuern leichter bezahlen könnten, wenn wir nur öfters fischen gingen? Weiter: Die Tempelsteuer war zur Zeit Jesu obligatorisch. Als jährliche Abgabe war sie (begründet durch 2Mo 30,11-16) etwa um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. eingeführt worden. Nun klingt unsere Perikope aber so, als ob es eine freiwillige Abgabe gewesen wäre und man sich nur hätte entscheiden müssen, ob man dem Tempel Anstoß geben wollte oder nicht. Aber die Tempelsteuer stand bemerkenswerterweise unter dem besonderen Schutz der römischen Besatzungsmacht und wurde mit ihrer Unterstützung konsequent eingezogen. Es war eine erhebliche Summe, die da zusammenkam – ca. zwei Tageslöhne von jedem Juden über 20 Jahre. Das galt natürlich nicht nur für Israel, sondern auch für die abertausend Juden im ganzen Römischen Reich

Merkwürdig erscheint auch, dass Jesus hier zum Vergleich mit der Tempelsteuer „die Könige auf Erden“ heranzieht. Wären die Priester im Tempel nicht naheliegender gewesen? (Im Gegensatz zur katholischen Kirche hatten Priester damals ja durchaus auch Frauen und Kinder.) Und der Vergleich wirft noch eine Frage auf: Es sind ja gerade die Kinder Israels, die die Steuer bezahlen mussten. Und es waren die Fremden, die von der Tempelsteuer befreit waren!

Wo finden wir Antworten auf diese Fragen? Das markinische Strukturprinzip „Herleitung“ (= aus dem Alten Testament) und „Vergegenwärtigung“ (= in der Zeit des Verfassers) lässt sich weitgehend auch auf Matthäus anwenden. Und so werden wir in der Zeit des Matthäus fündig. Zu seiner Zeit gab es allerdings gar keine Tempelsteuer mehr! Der Tempel war ja 70 n. Chr. zerstört worden. Die Juden lebten ihre Gottesdienste und Feste nur noch im Rahmen der im ganzen Römischen Reich verstreuten Synagogen. Die pharisäisch dominierten Synagogen im Reich hatten sich im Jüdischen Krieg weitgehend still verhalten. Ihren Frieden mit den Römern verdankten sie der Tempelsteuer. Denn aus dieser Steuer wurden seit Cäsars Zeiten vor allem die Opfer bezahlt, die die Israeliten zweimal am Tag (!) mit Fürbitte für Kaiser und Rom darbringenmussten. Diese Opfer waren nichts anderes als verbrämte Steuern. Als Gegenleistung waren die Juden im ganzen Römischen Reich von der sonst obligatorischen Anbetung der Kaiserstatuen befreit. Es war ein Abkommen auf Gegenseitigkeit: Die Juden (denen es ihr Glaube verbot, andere Götter als Jahwe anzubeten), konnten mit diesem Privileg gut und in Frieden leben. Die Römer wiederum hatten eine gewaltige zusätzliche Einnahmequelle allein von den Juden. Darüber hinaus war es für sie wichtig, ihren Frieden mit Rom zu erhalten: Damit die Juden sich mit ihrem Monotheismus still verhielten, gewährte man ihnen (wenn auch oft vielleicht mit knirschenden Zähnen) das Privileg, vor den römischen Kaisern nicht auf die Knie zu müssen. Umgekehrt ballte sicher mancher Jude heimlich die Faust, wenn er daran dachte, dass seine Tempelsteuer die römische Besatzungsmacht unterstützt. Mitder Zerstörung Jerusalems und des Tempels schien dieses austarierte Gleichgewicht der Interessen ins Wanken zu geraten. Aber die Römer hatten durch den gewonnenen Krieg die Oberhand. Die Synagogen im Reich befürchteten nun, ihre religiösen Privilegien zu verlieren. In dieser heiklen Situation (Ausschreitungen jahwetreuer Juden im ganzen Römischen Reich wären zu erwarten gewesen) hatte Kaiser Vespasian die rettende Idee: Er führte die Tempelsteuer einfach weiter – verbunden mit den notwendigen Privilegien. Sie hieß jetzt nicht mehr Tempelsteuer, sondern schlicht „Judensteuer“ (Fiscus Judaicus). Sie wurde weiterhin in allen Synagogen des Reiches erhoben, jetzt aber von Rom selber und vollständig für die eigene Kasse.

Soweit so gut. Bis Vespasians Sohn Domitian (als Nachfolger seines älteren Sohnes Titus) im Jahr 81 die Macht in Rom übernahm. Im Gegensatz zu seinem Vater und Bruder war Domitian verschwenderisch und kam in immer größere Geldnöte. So hatte er die Idee, nicht nur diejenigen Juden zu besteuern, die formal zum Judentum gehörten, sondern auch ihren „Freundeskreis“, also alle, die zwar nicht zur Synagoge gehörten, aber weiterhin in jüdischer Weise lebten. Dazu gehörten die sogenannten Gottesfürchtigen, aber eben auch die Judenchristen, die man als jüdische Sekte ansah (und die sich ebenfalls weigerten, römische Kaiser anzubeten). Diese Vereinnahmung der Menschen, die jüdisch dachten und lebten, führte in den Synagogen zu einem Aufschrei, weil man sich dort ja gerade von den Christusnachfolgern getrennt hatte. Dass sie nun wieder dem Judentum zugezählt werden sollten, verwässerte in den Augen der leitenden Pharisäer die „Reinheit“ jüdischen Glaubens und die notwendige Abgrenzung. Der Druck der Synagoge war so groß, dass diese Regelung schon 98 n. Chr, also ca. zehn Jahre nach ihrer Einführung von Domitians sparsamerem Nachfolger, Kaiser Nerva, wieder aufgehoben wurde.

Es sind nun aber (und damit zurück zum Matthäustext) genau diese Jahre, auf die Mt 17,24-27 anspielt: Soll man als Judenchrist die Judensteuer der Synagoge mitzahlen? Wer sich zum jüdischen Glauben bekannte, musste sie zahlen. Aber war das Judenchristentum noch Judentum in diesem formalen Sinn? War man nicht von der Synagoge ausgeschlossen worden? Andererseits: Wenn man zahlte, war man vom Kaiserkult befreit. Wenn nicht, lief man Gefahr verfolgt zu werden, weil man als Judenchrist den Kaiser ebenso wenig anbeten konnte wie die Juden der Synagoge. Mit Mt 17,24-27 lässt Matthäus durch Christus seiner Kirche in dieser Situation folgenden Rat geben: Ja, es geht vor allem um die Frage: Ehren wir den römischen Kaiser oder Jahwe, unseren König und Gott? Der römische Kaiser besteuert ja nicht seine eigenen Bürger („Kinder“), sondern die Fremden („die Juden“). Nach diesem Maßstab brauchen wir keine Steuer bezahlen, weil wir Kinder Jahwes sind, und unser himmlischer König von uns diese Steuer nicht verlangt. Sie wird uns von außen aufgezwungen. Aber vielleicht wäre es weise, diese Steuer trotzdem zu bezahlen, weil wir uns so Not und Verfolgung ersparen. Die Doppeldrachme wäre es doch wert – das ist ja nicht viel mehr als man mit etwas Glück im Maul eines Fisches findet.

Anmerkung:

Wenn wir den Text studieren, fällt uns auf, dass in Mt 17,24 nicht „Tempelsteuer“, sondern „Doppeldrachme“ steht. Warum übersetzt Luther dann das Wort mit „Tempelsteuer“? Ein Blick in Luthers Urtext zeigt zu unserer Überraschung, dass das Wort dort gar nicht steht! Luther übersetzt Doppeldrachme mit „Zinsgroschen“. Natürlich war Doppeldrachme ein Synonym für Tempelsteuer – aber eben nur bis zur Zerstörung des Tempels. Ab da hatte Doppeldrachme, wie wir sahen, die Bedeutung „Judensteuer“. Luther übersetzt also an dieser Stelle genauer als seine späteren Bearbeiter.

Matthäus und seine Gemeinde erkaufen sich ihren Religionsfrieden mit den Römern durch die „freiwillige“ Zahlung der Doppeldrachme. Es ist ihnen vermutlich nicht ganz so schwergefallen, weil sie sich ja ohnehin als das „neue“ Israel gesehen haben. Allerdings währte das Privileg nicht lange. Wie gesagt, kam es im Jahr 98 auch aus römischer Sicht zu einer formalen Trennung zwischen Synagoge und Judenchristentum. Unter Domitian begann eine Christenverfolgung, die zunächst nur die Heidenchristen betraf, weil sie nicht zum Umfeld der Synagoge gerechnet wurden. Die Judenchristen konnten sich ihre Privilegien durch die Zahlung der Judensteuer zunächst erhalten. Aber schon 10-12 Jahre später sahen sie sich derselben Verfolgung ausgesetzt wie ihre heidenchristlichen Brüder und Schwestern.

Diese kleine Episode im Matthäusevangelium hat noch eine ganz andere Bedeutung. Sie erlaubt uns nämlich eine Datierung des Matthäusevangeliums aus sich heraus. Die Tempelsteuergeschichte ist zwischen 91 und 96 anzusiedeln. Davor und danach haben wir eine andere Situation. Das ist auch der Grund, warum Lukas, obwohl er die Erzählung kennt, sie nicht in sein Evangelium aufnimmt. Sie wäre für seine Leser ebenso unverständlich (weil situationsbedingt) wie für uns heutige Leser, sofern wir den Kontext nicht kennen.

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