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Lukas 24, 13-35:  Die Emmaus-Jünger

Emmaus

"Unterwegs nach Emaus" (1992) von Janet Brooks-Gerloff (Geb. 1947)
Öl auf Leinwand, Kreuzgang der Benediktinerabtei Konrnelimünster
Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2004

Glanz des Himmels

 Der lachende Tag wollte überhaupt nicht zu der düsteren Stimmung passen, in der die beiden Männer nebeneinander hergingen. Schweigend zuerst, dann in immer angeregterem Gespräch, versuchten sie das traumatische Geschehen der letzten Tage zu verstehen. Kleopas durchbrach als erster das Schweigen.

 „Weißt du, Bruder, das macht doch alles keinen Sinn. Monatelang haben wir Jesus auf Schritt und Tritt begleitet. Er war bestimmt kein Scharlatan! Er hat ja nicht nur machtvoll gesprochen, er hat auch machtvoll gehandelt. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Kranke er gesund gemacht hat.“

 Sein Bruder nickte. „Ja, und viele Schriftgelehrte haben wie wir an ihn geglaubt. Denke nur an Nikodemus. Eigentlich war das ganze Volk überzeugt: Das ist der Messias, er wird uns befreien. Und nun? Schmählich ans Kreuz geschlagen haben sie ihn.“

 Kleopas blieb stehen. Noch einmal ging sein Blick zurück nach Jerusalem. „Und was hältst du von dem leeren Grab? Könnte es wirklich sein, dass er auferstanden ist?“ Aber welchen Sinn würde dann sein Leiden und Sterben haben? O wenn er doch nur hier bei uns wäre. Dann könnten wir ihn selber fragen.“

 Sein Bruder musste trotz seiner tiefen Trauer lächeln. „O ihr Toren“, würde er zu uns sagen. „O ihr Toren, versteht ihr denn nicht?“

 „Ja, du könntest recht haben“, erwiderte Kleopas. Wie oft hat er so zu uns gesprochen. Selbst einfache Gleichnisse konnten wir manchmal nicht verstehen. – Und jetzt, wo du das sagst“, – Kleopas Augen verengten sich im angestrengten Erinnern – „hat er nicht tatsächlich gelegentlich von Tod und Auferstehung gesprochen?“

 „Ja, stimmt. Ich erinnere mich. Einmal hat er voll Wehmut an die Propheten erinnert. Sie alle mussten leiden, weil die Menschen ihre unbequemen Botschaften nicht hören wollten.“ – „Genau“, fiel Kleopas ein, „selbst Mose, der größte von allen, musste in der Wüste um sein Leben bangen, nachdem das Volk vom Glauben abgefallen war und um das goldene Kalb tanzte. Oder denke an Jeremia, der verfolgt und eingekerkert wurde. Oder an Johannes, den Herodes enthaupten ließ.“

 Inzwischen warf die Sonne lange Schatten. Emmaus, das Heimatdorf der Brüder, tauchte in der Ferne auf. Doch die beiden bemerkten es nicht. Immer tiefer versenkten sie sich in die Erinnerung der Reden Jesu. Ja, es schien ihnen fast, als ob sie seine Stimme leibhaftig hörten. Wieder war es Kleopas, dem eine folgenschwere Schriftstelle einfiel: „Weißt du noch, wie wir ihn fragten, warum ausgerechnet die Frommen oft so unterdrückt werden? Er las uns damals aus dem Buch Salomo.“

 „Stimmt. Da ging es darum, dass die Leiden dieser Welt in keinem Verhältnis zu unserer kommenden Zeit mit Gott stehen. Zwei Sätze habe ich mir besonders eingeprägt. An einer Stelle heißt es: ‚Gott hat ja den Menschen zur Unverweslichkeit erschaffen und ihn zum Abbild seines eigenen Wesens gemacht.’ Und dann hieß es noch: ‚Die Seelen der Frommen sind in Gottes Hand – In den Augen der Toren schienen sie tot zu sein. Ihr Ende wurde als Unglück angesehen. Sie aber sind im Frieden. Gott hat sie seiner als würdig empfunden.’ “

 Kleopas fasste seinen Bruder am Arm. „Wenn das stimmt, dass die Frommen zum Leben mit Gott auferstehen, dann ist Jesus der Erste, auf den das zutrifft. Wer hatte wohl ein innigeres Verhältnis zu Gott als er? Hat er ihn nicht immer nur ‚meinen lieben Vater’ genannt?“

 Die Brüder waren vor ihrem Haus angekommen. Sie sahen sich an. Und jeder entdeckte im Auge des anderen das, was er selber spürte: eine neue Hoffnung. Eine mögliche Erklärung für die entsetzlichen Erfahrungen der letzten Tage. Sie hatten die heiligen Schriften vorwärts und rückwärts zitiert. Und immer deutlicher war ihnen geworden, dass Jesus lebte. Dass er mit seinem Vater vereint war. Dass das irdische Leben eine Zeit der Bewährung war. Und dass Jesus diese Bewährung mit Bravour bestanden hatte.

 Was hieß das für sie beide? Sie waren wieder zu Hause. Und doch hätten sie jetzt alles in der Welt dafür gegeben, wenn Jesus nicht nur beim Vater, sondern auch bei ihnen gewesen wäre. Wenn er mit ihnen, wie schon so oft in der Vergangenheit, das abendliche Mahl hätte teilen können. Und wieder senkte sich der dunkle Schleier der Trauer über die beiden. Der Weg nach Hause war mehr und mehr erfüllt gewesen mit dem Bewusstsein, dass Jesus den Tod überwunden hatte. Und trotzdem hätten sie ihn jetzt gerne leibhaftig eingeladen, bei ihnen zu bleiben und die Zweifel der Nacht zu vertreiben. Wie ein Puzzle hatten sie Bibelstellen und Worte Jesu zu einem neuen Bild zusammengesetzt. Doch das Bild war vorerst nur in Konturen sichtbar. Viele Puzzlesteine fehlten noch.

 Wer würde ihnen helfen, den Sinn des Weges Jesu vollständig zu erfassen?

 Was dann geschah, ließ sich mit Worten nicht wirklich beschreiben. Später, als sie nach Jerusalem zurückgeeilt waren, noch in derselben Nacht, um den anderen Jüngern in Jerusalem das Geschehen zu erklären, konnten sie nur sagen: „Der Herr war schon auf dem ganzen Heimweg an unserer Seite. Wir haben es nur nicht gemerkt. Aber dann, als wir das abendliche Mahl einnahmen, fiel es uns wie Schuppen von den Augen. Wie oft hatte Jesus das Brot mit uns gebrochen. Und jetzt erinnerten wir uns an den letzten Abend, als er dabei sagte: ‚Dies ist mein Leib.’ Und plötzlich wussten wir beide: Er war tatsächlich in unserer Mitte. Für einen Moment war seine Gegenwart so intensiv, dass wir meinten, ihn leibhaftig vor uns zu sehen. Aber was uns dann aufging, war ungeheuerlich und beglückend zugleich. Wenn er beim Vater war – und wenn er gleichzeitig bei uns war – dann war Gott selber in unserem Hause eingekehrt. Nun war er wirklich auch unser Vater geworden. Jesus und unser lieber Vater vereint zu einer Erfahrung. Zu der Erfahrung: er ist uns ganz nahe. Überall in der Welt. Bis ans Ende der Welt.“

 Die Augen der Brüder glänzten. Es war ein begeistertes, ein begeisterndes Glänzen. Es spiegelte den Glanz des Himmels wider.
 

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen.
Mt. 18,20

 

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