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Verklärung auf dem Berg:  Auf wen hören? (Markus 9,1-8)

1 Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft. 2 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus, Jakobus und Johannes und führte sie auf einen hohen Berg, nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verklärt; 3 und seine Kleider wurden hell und sehr weiß, wie sie kein Bleicher auf Erden so weiß machen kann. 4 Und es erschien ihnen Elia mit Mose und sie redeten mit Jesus. 5 Und Petrus fing an und sprach zu Jesus: Rabbi, hier ist für uns gut sein. Wir wollen drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 6 Er wusste aber nicht, was er redete; denn sie waren ganz verstört. 7 Und es kam eine Wolke, die überschattete sie. Und eine Stimme geschah aus der Wolke: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören! 8 Und auf einmal, als sie um sich blickten, sahen sie niemand mehr bei sich als Jesus allein.

Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft (9,1). Fast alle Bibelübersetzungen nehmen diese Verse zum letzten Abschnitt. Dann muss man feststellen: Jesus macht hier eine Falschaussage, denn seine Wiederkunft steht noch aus und die dort standen (V.1) sind längst verstorben. Es ist aber offensichtlich, dass diese Verse zur Verklärung auf dem Berg überleiten. Denn drei von denen, die dort standen (Petrus, Jakobus und Johannes) dürfen mit auf den Berg, wo sich Jesu Wort erfüllt: Sie sehen und erfahren die Herrlichkeit Gottes, das Kommen seines Reiches in der Proklamation des Rabbis von Nazareth als Gottes Christus.

Wieder geht es um Nachfolge und Rangfolge. Wem sollen die Jünger nachfolgen: Mose, Elia oder Jesus? Und wer unter diesen ist der Größte? – Mose steht für das Gesetz, die Bücher Mose. Seine Nachfolger waren die Sadduzäer. Auf einem hohen Berg wie diesem waren ihm die Weisungen Gottes zuteil geworden. – Elia steht für die Propheten. Seine Nachfolger waren die Pharisäer. Für sie waren die prophetischen Schriften genauso gültiges Wort wie die mosaischen Schriften. Und nun noch Jesus, der Messias. Kein Wunder, dass die Jünger „verstört waren“: Auf wen sollten sie hören? Petrus schlägt eine inklusive Lösung vor: Am besten, wir hören auf alle drei. Lasst uns drei Hütten bauen. Doch nun tut sich der Himmel auf (wir erinnern uns an Mk 1,10), Gott naht in der Wolke und redet die Jünger an: „Das ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören!“ (V.7). Wem also sollen die Jünger folgen? – Und auf einmal, als sie um sich blickten, sahen sie niemand mehr bei sich als Jesus allein (V.8).

Sucht man im Alten Testament nach einer Stelle, die Mose und Elia in einem Zusammenhang bringt, dann stößt man auf Maleachi 3,22-24. Das ganze Kapitel handelt vom Kommen Gottes, der die Menschen im Hinblick auf die ihnen anvertraute Welt zur Verantwortung ziehen wird. Dieser Gedanke nimmt in allen Evangelien viel Raum ein. Insbesondere das Bild des Gutsbesitzers, der nach einer Reise zurückkommt in das Seine oder der sein Gut verpachtet hat und seinen Lohn einfordert (vgl. Mk 12,1 ff.), gehört zu den zentralen Gedanken der Evangelisten. Gott wird kommen zu seinem Tempel (Mal 3,1). Vorab wird er einen Boten senden, der ihm den Weg bereiten soll (Mal 3,1). Die Menschen sollen an das Gesetz Mose denken (Mal 3,22). Und als letztes Zeichen seines unmittelbar bevorstehenden Erscheinens wird Gott Elia senden, um die Menschen zur Versöhnung mit ihm und untereinander aufzurufen (Mal 3,23-24).

Auf diese Vision spielt Markus an, wenn er Jesus mit Mose und Elia zusammenbringt. Für ihn ist der Bote, der den Weg bereiten soll, Elia. Und er sieht ihn in Johannes dem Täufer verwirklicht (Kehrt um, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen, vgl. Mk 1,2; Mt 3,2; Mk 1,15, Mt 11,10-15).  Beim Abstieg vom Berg fragen die Jünger direkt nach Elia, und Jesus antwortet: Elia ist bereits gekommen und wurde misshandelt und getötet. Jetzt aber ist die Stunde des Menschensohns gekommen, der ebenfalls leiden muss und verachtet werden wird (Mk 9,12).

Ist die Verklärung auf dem Berg ein historisches Ereignis, das Markus lediglich nacherzählt? Nein, natürlich nicht. Es ist eine kunstvolle literarische Komposition, die zentrale christliche Glaubensaussagen enthält. Es ist ein in Worte gefasstes Bild, das wir verstehen, wenn wir die Einzelelemente des Bildes verstehen:

„Nach sechs Tagen“ (V. 9,2)

Die Zahl 6 deutet auf das messianische Zeitalter hin. Sechs Tage schuf Gott, am siebten ruhte er. Mit diesem siebten Tag verbindet sich für Israel das kommende Zeitalter des Messias – der messianische Sabbat. Die Zahl 6 als Verweis auf die unmittelbar bevorstehende sieben (= Zahl der Vollkommenheit) findet sich in jüdischen Schriften an vielen Stellen. Johannes z. B. erwähnt in der Wasserverwandlungserzählung sechs Wasserkrüge. Ihr Inhalt wird in Wein verwandelt und beim messianischen Hochzeitsmahl getrunken . Markus selbst benutzt die Botschaft der Sechs an ganz zentraler Stelle, nämlich bei der Kreuzigung. Sechs Stunden hängt Jesus am Kreuz, dann ist die Leidenszeit vorüber und der Messias verherrlicht. Auch die Zeit zwischen dem Einzug in Jerusalem und der Kreuzigung beträgt sechs Tage. Damit weist Markus der Verklärung Jesu „nach sechs Tagen“ ihrem eigentlichen Ort in Zeit und Raum zu.

„auf einen hohen Berg“ (V. 9,2)

„Der Berg“ steht für die Nähe und Gegenwart Gottes. Sowohl Mose (2Mose 19) als auch Elia (1Kön 19) begegnen Gott auf einem hohen Berg. Diesem Bild sind wir bei Markus im Zusammenhang mit Jesus bereits zweimal begegnet (Mk 3,13 und Mk 6,46).

„seine Kleider wurden weiß“ (V. 9,3)

Das Bild bezieht sich auf Dan 7,9, wo Gott selber beschrieben wird. Offb 1,14 greift das Bild wieder auf. Weiß ist die Farbe des Lichtes (Ps 104,2), der Sonne, des Siegers, des Märtyrers, der Sündlosigkeit und Gottesnähe. Auch alle diejenigen, die zu Gott gehören, tragen weiße Kleider (Offb 7,14; vgl. Mt 22,11!)

„drei Hütten bauen“ (9,5)

Hütten baut man, wo man sich niederlässt. Sie stehen für das Dauerhafte im Gegensatz zum Vergänglichen. Im engeren Sinn weist das Wort viele biblische Assoziationen auf, z. B. die Stiftshütte, die von der „Wolke des Herrn“ bedeckt wird (4 Mose 9,15), aber auch die „zerfallene Hütte Davids“ in Am 9,11, die in der messianischen Zeit wieder aufgerichtet werden soll. „Drei Hütten“ ist natürlich kein Verweis auf die Trinität, wie man es gelegentlich liest, sondern der Versuch, die Autoritäten Mose, Elia und Christus irgendwie unter der Wolke Gottes „unter einen Hut“ zu bringen, was Markus mit göttlicher Entschiedenheit ablehnt.

„Wolke“ (V. 9,7)

Die Wolke steht für die Gegenwart Gottes. Ihn unmittelbar anzuschauen wäre tödlich. Deshalb verbirgt sich Gott in der Wolke (vgl. 2Mose 34,5). Vielleicht ist dieses Bild aus der Erfahrung heraus geboren, dass wir der Sonne nicht ins Auge schauen können, ohne zu erblinden, es sei denn, uns „überschattet“ eine Wolke, durch die wir die Sonne gefiltert und schemenhaft wahrnehmen und ertragen können. Das Bild von der Wolke begegnet uns mehrfach im Neuen Testament. An zentraler Stelle steht es in Apg 1,9, wo der Auferstandene bei Gott aufgenommen wird. Spiegelbildlich berichtet Mt 24,30 von der Wiederkunft Jesu auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.

„Menschensohn“ (V. 9,9)

Wie mehrfach erwähnt, spielt Markus auf Dan 7,13 an: Und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels (s.o.!) wie eines Menschen Sohn“ (= in Gestalt eines Menschen). Interessanterweise lässt Markus ausschließlich Jesus selber das Prädikat „Menschensohn“ verwenden; vermutlich deshalb, weil Jesus sich zu Lebzeiten nie als Messias oder Christus bezeichnet hat. So wird „der Menschsohn“, wenn Jesus bei Markus von sich selber spricht, zur Umschreibung seines Messiasanspruchs: Der Rabbi, der in Wirklichkeit der Messias war – und seine wahre Identität den Eingeweihten und Wissenden mit dem Begriff „Menschensohn“ andeutet.

Elia (V. 9,11)

Nach 2Kön 2,1-18 wird Elia in einem Sturmwind zum Himmel entrückt. Darum entstand im Judentum früh der Glaube, Elia sei nicht gestorben, sondern lebend in den Himmel aufgenommen worden. Er gilt seither als wichtigster Prophet nach Mose. Wie wir sahen, kündigt der Prophet Maleachi die Wiederkunft Elias als Wegbereiter des Messias an. Vor allem im Matthäusevangelium wird ein direkter Bezug zwischen Elia und Johannes dem Täufer hergestellt.

Exkurs

Wie wäre es, wenn wir die Bildersprache einmal komplett wegließen? Wenn wir den beschriebenen Sachverhalt von Mk 8,27-9,32 einmal in der uns gewohnten Ausdrucksweise wiedergäben? Vielleicht könnte der Abschnitt dann so formuliert werden:

Die Jünger waren nach Jesu Tod (8,31) ganz verstört (9,6). Sie hatten doch geglaubt, dass Jesus der Messias sei (8,29). Und nun war er von den Römern unter Mithilfe der Hohenpriester und Schriftgelehrten gekreuzigt worden. Konnten sie noch seine Jünger, seine Nachfolger sein?

Aber in den Leitern der Jünger, und zwar in Petrus, Jakobus und Johannes, reifte die Erkenntnis, dass sie sich ihres Lehrers nicht schämen durften (8,38). Er war seinem göttlichen Vater treu geblieben bis in den Tod, hatte sich von niemandem beirren lassen, selbst von Petrus nicht (8,33). Lieber wollten die Jünger selber sterben, als auf Gottes Nähe zu verzichten, die sie im Leben und in der Lehre Jesu erfahren hatten (8,35).

Wie konnten sie Lehre und Leben ihres Rabbis in ihren jüdischen Glauben integrieren? Es war Petrus, der vorschlug, nach den biblischen Büchern zu gehen. Es gab „das Gesetz“ (Mose), „die Propheten“ (Elia) und die (wesentlich jüngeren) „Schriften“, die vom „Gerechten“ sprachen, der von den Gottlosen verachtet und umgebracht wird (Weish 2-3). Das würde doch gut zu Jesus passen. Also: Mose, Elia und Jesus – alle unter dem einen religiösen Dach (9,5).

Im Gebet und in der Gegenwart Gottes (9,7) wurde ihnen dann klar, dass diese Idee nicht sinnvoll war (9,6). Sie mussten sich entscheiden, auf wen sie hören wollten. Und sie entschieden sich, von Gottes Geist geleitet (9,7), gegen einen Kompromiss und für Jesus (9,8).

Aus den Weisheitsbüchern nahmen sie aber noch die Überzeugung mit, dass der Mensch von Gott zur Unverweslichkeit erschaffen wurde (Weish 2,23). Das hatte Jesus auch immer gelehrt (9,9). Zunächst konnten sie sich darunter nicht viel vorstellen (9,10), aber dann wurde es ihnen klar: Jesus war jetzt beim Vater. Er war auferstanden.

Aber was war mit Elia? Der war doch noch gar nicht wiedergekommen? O doch. Maleachi hatte ihn ja mit dem Boten gleichgesetzt, der Gottes Erscheinen vorbereiten sollte. Und hatte Jesus nicht selber angedeutet, dass Johannes der Täufer dieser Bote sei?

Aber nicht nur der Vorbote Johannes musste leiden, sondern auch der Messias selber. Das fanden die Jünger beim Propheten Jesaja (Jes 53). Der dort beschriebene Gottesknecht – das konnte nur ihr Jesus sein. Das wiederum hieß, wie sie es jetzt nach Jesu Auferstehung verstanden, dass der Messias zweimal kommen musste: Einmal als lehrender und leidender Messias (8,12), dann aber bald als triumphaler König und Weltenrichter (8,38).

 

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